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ONE IN A MILLION

– unser WSS Warrior Leopold –

Es folgt ein ausführlicher und sehr persönlicher Bericht unserer Geschichte. Bevor es bei all dem Drama, das wir in den vergangenen Jahren hatten, untergeht: Leopold ist ein wahrer Sonnenschein. Er macht seinem Namen alle Ehre. Denn Leopold heißt „der Tapfere“. Und tapfer – oh ja, das ist er. Außerdem ist unsere Geschichte keinesfalls exemplarisch für dieses Syndrom. WSS hat viele Gesichter. Die Variablen dieses Syndroms sind so vielseitig wie die Kinder selbst. Wir wollen diesem Syndrom nur ein Gesicht von vielen geben.

Auf den ersten Blick ist Leopold ein aufgeweckter, freundlicher, fröhlicher, ausgeglichener, neugieriger Junge. Aber nur auf den ersten Blick. Denn die meisten Fremden halten ihn stets für ein Jahr jünger als er eigentlich ist. 

 

Leopold wurde im April 2016 acht Wochen vor seinem errechneten Geburtstermin geboren. Für jemanden, der es erst so eilig hatte, ließ er sich von nun an für alles mehr Zeit. Die ersten Probleme wurden schon früh deutlich: Er nahm schlecht zu, wuchs langsamer, er ließ sich nicht stillen, hatte einen schwachen Muskeltonus und machte alles mal mehr oder weniger später als andere Kinder in seinem Alter. Er bekam schon nach wenigen Wochen Physiotherapie und nach einigen Monaten auch Logopädie, um seine Schluckprobleme beim Essen zu behandeln.

 

Die erste Genuntersuchung

 

Er war noch nicht ein Jahr alt, da sprachen seine Ärzte von einer globalen Entwicklungsverzögerung. Ein erster Gentest als er etwa 10 Monate alt war fiel komplett unauffällig aus. Also hieß es: Er war ein Frühchen, er braucht einfach mehr Zeit. Ohne wirkliche Diagnose bekam er trotzdem einen integrativen Krippenplatz. Erst mit 26 Monaten begann er zu laufen. Bis dahin stand der kleine Perfektionist sich selbst im Weg. Denn er konnte zwar laufen, traute sich aber nicht so recht. Eine Woche nach diesem Meilenstein hatten wir einen erneuten Termin zur humangenetischen Untersuchung. Da bereits diverse Gendefekte wie Prader-Willi, Williams-Beuren oder Angelman ausgeschlossen werden konnten, untersuchte die Humangenetikerin ihn nun auf das Noonan-Syndrom. Doch auch hier war das Ergebnis negativ. 

Im August 2019 wechselte er von der Krippe in den Kindergarten. In unseren Augen viel zu früh. Aufgrund seiner mittlerweile auffälligen Entwicklungsverzögerung, hätten wir ihn gerne noch ein weiteres Jahr in der Krippe behalten. Doch ohne Diagnose und dank deutscher Bürokratie wurde es uns verweigert. So wurde es ihm rein psychologisch genommen, einmal zu den Großen zu gehören. Der Wechsel in den Kindergarten funktionierte aufgrund seiner unkomplizierten und freundlichen Art sehr gut, aber er ging in der großen Gruppe mit Kindern, die viel größer und weiter als er waren, einfach gnadenlos unter. Mit dem Kindergartenantritt begann auch seine Arbeit mit einer neuen Logopädin. Mittlerweile sind die beiden ein toll eingespieltes Team und wir merken großartige Fortschritte.

Die zweite Genuntersuchung

 

Im April 2020 erfolgte kurz nach seinem vierten Geburtstag und in der Hochphase von Corona eine erneute humangenetische Vorstellung. Im ersten Moment fragte uns die Humangenetikerin, warum wir überhaupt „schon wieder da“ seien. Sie hatte nicht aufs Geburtsdatum geschaut und hielt ihn für einen süßen, kleinen Dreijährigen. Eine Entwicklungsverzögerung von gut einem Jahr hielt sie dann aber doch für sehr auffällig und riet uns an einer Studie der Uni Tübingen teilzunehmen. Bei dieser Studie werde nicht mehr auf bestimmte Syndrome hin untersucht, sondern die Genstränge, die für Entwicklung und Sprache zuständig sind, auf Fehlinformationen überprüft. Sie ging bereits von einer hohen Wahrscheinlichkeit aus, dabei etwas zu finden. 

Auf das Ergebnis mussten wir aufgrund der Pandemie ungewöhnlich lange warten. Die Zwischenzeit nutzten wir, um Leopold für einen heilpädagogischen Kindergartenplatz anzumelden zum nächsten Kindergartenjahr anzumelden. Wir wollten diesen Platz, um ihm in der Kleingruppe und durch den guten Betreuungsschlüssel das bestmögliche Entwicklungspotential zu bieten und das Infektionsrisiko besonders in den Wintermonaten und hinsichtlich Corona zu minimieren. Da wir zu dem Zeitpunkt aber noch keine Diagnose hatten, hätten wir den Platz aber fast nicht bekommen. Die Verantwortlichen von der Stadt kamen zur Beurteilung zu Besuch, konnten aber keine kognitiven Einschränkungen bei ihm erkennen. Nur aufgrund unseres unermüdlichen Einsatzes, bei dem man auch schnell in die Ecke Helikoptereltern gestellt wird, bekam er den Platz zumindest für die Dauer eines Jahres. 

 

Der Befund

 

Der Befund der Genanalyse wurde uns schließlich Anfang August 2020 mitgeteilt. Damit hatte unsere Bauchgefühl, dass uns in den vergangenen Jahren begleitet hatte, einen Namen: Wiedemann-Steiner-Syndrom. 

Ganz ehrlich: Die Diagnose schockte uns. All unsere Hoffnungen, seine Probleme würden sich irgendwann verwachsen, lösten sich in Luft auf. Aber wir schauten Leopold an und waren total vernarrt in ihn. Er begeistert uns jeden Tag mit seiner unermüdlichen und ansteckenden Energie. Umso mehr quälte uns die Frage: Warum er? Warum wir? Warum muss gerade dieser tolle, großartige Junge das durchmachen? Und wir hatten und haben natürlich eine gewisse Angst, was die Zukunft bringen wird und für unseren Sohn bereithält. Wie wird sich das Syndrom bei ihm zeigen und auswirken? Wie oder wie sehr wird er kognitiv beeinträchtigt sein? Da das Syndrom so selten, wenig erforscht und variantenreich ist, ist eine Prognose sehr schwer. Wir können nur schauen, was passieren wird und in die Situation hineinwachsen – egal, was da auch kommen wird.

 

Leben mit dem Wiedemann-Steiner-Syndrom

 

So merkten wir schnell, dass sich erst einmal im Umgang mit Leopold nichts großartig ändern wird. Bislang mussten wir uns sehr auf unsere Intuition verlassen und bei vielen Sachen einen ganz eigenen Weg finden. Wir betrachten ihn als Individuum. Wir beobachten ihn. Wir schauen, wo seine Stärken sind und wo ihm und uns Herausforderungen begegnen. Wir loben und bestärken ihn, wenn er etwas gut macht. Wir wollen aber auch weiterhin sagen dürfen, „jetzt stell´ dich nicht so doof an“. Wir lieben ihn über alles. Aber wir wollen auch wütend, frustriert, genervt und erschöpft sein dürfen. 

 

So blöd das klingt, die Diagnose hilft uns auch. Wir haben bessere Chancen auf Therapien, die ihm helfen und die er verdient. Bei all der Bürokratie in Deutschland stehen uns neue Türen offen – auch wenn wir bestimmt noch sehr viele kleine und größere Kämpfe austragen werden müssen. Als erstes werden wir uns jetzt mit einer Pflegeberaterin zusammensetzen, die uns dabei helfen wird, die Pflegestufe zu beantragen und sich mit Themen wie Rentenausgleich und Steuervergünstigungen auskennt. Wir werden berichten.

 

Das Abenteuer mit unserem kleinen WSS Warrior beginnt gerade erst...

 

Stand: August 2020

(Aus Respekt gegenüber Leopold zeigen wir keine aktuellen Bilder. Bitte haben Sie Verständnis.)

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